Im Mittelpunkt dieses Artikels steht ein Fall, der die Bedeutung des Herkunftslandprinzips der E-Commerce-Richtlinie deutlich macht – und wie dieses Prinzip von nationalen Gerichten ignoriert wurde.
Ausgangssachverhalt
Ein deutscher Anbieter verkaufte über Amazon preisgebundene Bücher auch nach Österreich. Da diese Bücher günstiger angeboten wurden, als es das österreichische Buchpreisbindungsgesetz erlaubt, klagte der Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft auf Unterlassung. Grundlage der Klage war § 9 des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes (BPrBG), der Handlungen gegen § 7 Abs. 2 BPrBG als unlautere Handlungen im Sinne des § 1 UWG qualifiziert. Wegen dieser gesetzlichen Fiktion stand daher nicht die Vertretbarkeit der Rechtsansicht, sondern allein die Frage, ob ein Verstoß gegen die Buchpreisbindung vorliegt, im Fokus der Entscheidungen.
Das Problem mit den Unterinstanzen
Beide Unterinstanzen haben das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie nicht hinreichend berücksichtigt – um nicht zu sagen ignoriert. Sie argumentierten stattdessen auf Basis des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes und betrachteten den grenzüberschreitenden Handel wie ein rein nationales Rechtsverhältnis. Damit stellten sie die territorialen Regelungen des Buchpreisbindungsgesetzes über das EU-rechtlich verankerte Prinzip der Aufsicht durch den Herkunftsstaat.
Zum Zeitpunkt der Entscheidungen der Unterinstanzen – des Handelsgerichts Wien am 13. März 2024 und des Oberlandesgerichts Wien am 6. Mai 2024 – war zwar die EuGH-Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen C‑662/22 und C‑667/22 (Airbnb Ireland UC und Amazon Services Europe Sàrl) vom 30. Mai 2024 noch nicht ergangen. Doch ergibt sich bereits klar aus dem Richtlinientext (Art. 2 Buchstabe h), dass der „koordinierte Bereich“ sowohl die Aufnahme der Tätigkeit – wie Qualifikationen, Genehmigungen oder Anmeldungen – als auch deren Ausübung betrifft.
Darauf wies Rechtsanwalt Dr. Johannes Ölböck in der Berufung explizit hin: Internethändler unterliegen gemäß der E-Commerce-Richtlinie nur den rechtlichen Vorgaben ihres Niederlassungsstaates. Das österreichische Buchpreisbindungsgesetz stellt keine zulässige Ausnahme vom Herkunftslandprinzip dar und darf daher nicht auf grenzüberschreitende Geschäfte angewendet werden.
Der Kampf geht weiter
Von den beiden Urteilen der Unterinstanzen ließ sich Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck nicht beirren und setzte den Kampf für seinen Mandanten mit einer außerordentlichen Revision beim Obersten Gerichtshof fort. In dieser betonte er nochmals die fundamentale Bedeutung des Herkunftslandprinzips und griff die Urteilsbegründungen der Vorinstanzen an. Dr. Öhlböck argumentierte, dass die E-Commerce-Richtlinie den gesamten koordinierten Bereich schützt, einschließlich der Verkaufsmodalitäten. Das Buchpreisbindungsgesetz dürfe daher nicht auf grenzüberschreitende Verkäufe angewendet werden. Er stellte klar, dass die Richtlinie nationale Ausnahmen nur unter streng definierten Voraussetzungen zulässt, die hier nicht erfüllt sind.
Der Kampf war erfolgreich
Mit Erfolg: Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile des Handelsgerichts und des Oberlandesgerichts Wien ab und wies die Klage des Fachverbands der Buch- und Medienwirtschaft zurück (4Ob161/24s).
„Die Revision ist wegen einer zu korrigierenden Fehlentscheidung im Zusammenhang mit der Anwendung des Herkunftslandprinzips (§ 20 ECG) zulässig und berechtigt.“
In seiner Entscheidung stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie für grenzüberschreitende Geschäfte verbindlich ist. Nationale Regelungen wie das österreichische Buchpreisbindungsgesetz dürfen nur dann angewendet werden, wenn sie die engen Voraussetzungen einer Ausnahme gemäß der Richtlinie erfüllen – was hier nicht der Fall war.
Die die Bewerbung von Rabatten ist aber – anders als in Österreich – im Niederlassungsstaat des Anbieters, Deutschland, nicht untersagt. Die Anwendung des österreichischen Werbeverbots für Rabatte (§ 7 Abs. 2 BPrBG) würde somit zu strengeren Anforderungen für die Preiswerbung führen, als sie das deutsche Recht vorsieht. Die beklagte Partei darf sich daher bei den Preisankündigungen auf das Herkunftslandprinzip berufen.
Klartext und Einsichten
- Das Herkunftslandprinzip ist nicht verhandelbar. Unternehmer, die im EU-Binnenmarkt tätig sind, haben sich an die Regeln ihres Niederlassungsstaates zu halten – nicht an nationale Sonderregelungen anderer Länder. Versuche, diese Grundprinzipien durch die Hintertür zu unterlaufen, scheitern spätestens vor dem Höchstgericht.
- Wählen Sie einen Rechtsanwalt, der für Sie kämpft und auch die europarechtlichen Hebel kennt und effektiv nutzt. Dieser Fall zeigt: Drastische Urteile erfordern gezielte und entschlossene Gegenwehr.
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